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Gezielterkunden

Logbuch Sprache

Unterhaltsames und Wissenswertes
zum gezielten Einsatz von Text & Sprache

Fachsprache vs. Verständlichkeit?
Weshalb sich ein anderer Blickwinkel in der Kundenansprache lohnt

Wissen Sie, was eine Personenvereinzelungsanlage ist? Oder können Sie erahnen, zu was ein Erwerbsobliegenheitsverpflichteter eigentlich genau verpflichtet ist? Ist Ihnen die Abkürzung RkReÜAÜG M-V geläufig? Zugegeben: Die Beispiele stammen aus der Verwaltungssprache und sind ein wenig plakativ, das Problem beschränkt sich aber keineswegs auf diese Branche. Kennen Sie z. B. CCD´s (Technik) oder ein Enzephalon (Medizin)?

Menschen suchen nach verständlichen Lösungen: Liefern Sie sie!

 

Die genannten Begriffe und Abkürzungen stehen stellvertretend für Etwas, das die meisten Menschen schon selbst erlebt haben: Sie verstehen nicht, was man Ihnen eigentlich mitteilen möchte und reagieren darauf (zu recht) mit Ärger. In der Regel gibt es nämlich gute Gründe, weshalb wir uns mit einem Text überhaupt auseinandersetzen – und deshalb wir wollen verstehen, was wir lesen. 

 

  • Etwa weil wir verpflichtet werden sollen, auf eine bestimmte Art zu handeln: z. B. eine Frist einzuhalten, ein Bußgeld zu bezahlen oder eine Urkunde vorzulegen; häufig findet sich eine solche Handlungsaufforderung in juristischen Texten und Verwaltungstexten.

 

  • Viel öfter jedoch lesen wir im Alltag und im Arbeitskontext einen Text, weil wir ein Problem haben und dafür nach einer Lösung suchen.

 

Wer sich erst mühsam durch überlange Sätze, Abkürzungsverzeichnisse und Fremdwörterlexika quälen muss, bis er sein Ziel erreicht hat, wird sicher am Ende nicht sagen: „Juhu, ich hab`s zwar nicht verstanden, aber ich kauf`s trotzdem.“

 

Dabei sind Bandwurmsätze, Abkürzungen und Fach- sowie Fremdwörter längst nicht die einzigen Hürden, die in Fachtexten überwunden werden müssen, um das Gelesene zu verstehen – Struktur, Passivkonstruktionen und die Wahl der Wortarten erschweren das Verständnis oft zusätzlich.

 

Texte mit komplexen Themen in der Kundenansprache: Ja wie schreiben Sie denn?

 

Nun haben Verwaltungen klassischen Unternehmen gegenüber einen entscheidenden Vorteil: Sie müssen sich um Kundenbindung und Imagebildung keine Gedanken machen – zumindest nicht mit dem Ziel, Umsätze zu steigern und sich stabil am Markt zu positionieren. Das entbindet sie selbstverständlich nicht von der Pflicht, sich in Texten verständlich auszudrücken, aber der Druck von außen ist sicher geringer.

 

In Unternehmen, die intern oder mit Partnern häufig fachsprachlich kommunizieren – z. B. aus den Bereichen

 

  • Wirtschafts- und Steuerberatung
  • Medizin
  •  Chemie
  • Maschinen- und Anlagenbau sowie weiteren technischen Branchen

 

ist die schriftliche Kommunikation mit Nicht-Fachleuten häufig ein leidiges Thema. Abkürzungen, Fachbegriffe, Reduktion auf technische Features: Das alles hat selbstverständlich seine Berechtigung, weil es effizient ist – aber eben intern oder bei Fachpublikum.

 

Wo Fachsprache allerdings nichts zu suchen hat: in Texten zur Kundenansprache – also auf der Homepage, in Kundenanschreiben, in Broschüren, Flyern und allen anderen PR- und Werbetexten. Das haben die meisten Unternehmen längst verstanden, an der Umsetzung hapert es trotzdem oft genug. Warum? Weil sich eingefahrene Strukturen nur langsam ändern lassen.

 

Was Sie jedoch ganz einfach und sofort anders machen können: Versuchen Sie beim Schreiben von Texten immer, durch die gleiche Brille zu sehen, durch die Ihr Kunde vermutlich sieht. Sie können ihm etwas bieten, das ihm wirklich hilft? Dann sagen Sie es! Klar und verständlich. Wissen Sie, was ein Kunde macht, der Sie nicht versteht? Er sucht sich die nächstbeste Lösung für sein Problem.

 

Sind Ihre Texte verständlich?

 

Nach der Prüfung der folgenden Parameter wissen Sie`s!

 

Fremd- und Fachwörter:
Können Sie sicher davon ausgehen, dass Ihr Zielpublikum alle Begriffe kennt? Falls nicht, überlegen Sie sich Alternativen. Im Zweifelsfall oder wenn die Voraussetzungen Ihrer Zielgruppe sehr unterschiedlich sind, legen Sie z. B. ein Glossar oder Fremdwörterlexikon auf Ihrer Homepage an.

 

Abkürzungen:
Abkürzungen sind völlig in Ordnung, wenn sie im passenden Kontext verwendet werden. Sind Sie nicht 100%ig sicher, dass Ihre Zielgruppe die Abkürzung kennt, schreiben Sie sie aus/ erklären Sie sie.

 

Länge der Sätze:
Idealerweise haben Sätze eine Länge von maximal 15 Wörtern, das gilt als (gerade noch) gut lesbare Einheit. Der viel wichtigere Aspekt jedoch: Kommunizieren Sie immer nur eine Aussage pro Satz – wenn Sie das beachten, dürften Sie die Grenze von 15 Wörtern meist automatisch einhalten.

 

Grobstruktur:
Wie ist der Text aufgebaut? Er sollte durch Überschriften und Zwischenüberschriften gegliedert sein. Heben Sie Wichtiges hervor – mit Unterstreichungen, Fettdruck oder Bulletpoints (Aufzählungszeichen).
Tipp für Profis: Eine Struktur schaffen, die dem Zweck/ Ziel des Textes folgt.

 

Feinstruktur:
Prüfen Sie, ob die Inhalte logisch zusammengefügt sind. Häufig werden Konjunktionen (Bindewörter) wie z. B. denn, obwohl, außerdem, sofern, doch, anstatt falsch oder doppelt eingesetzt und führen außerdem zu Missverständnissen (haben Sie`s bemerkt…?).
Tipp für Profis: Achten Sie auf die Thema-Rhema-Struktur: Das heißt, in einem Satz soll immer erst das Thema (das aus dem vorherigen Satz Bekannte) dargestellt werden und dann das Rhema (die neue Information). So entstehen im fortlaufenden Text logische Verknüpfungen und ein verständlicher Aufbau.

 

Wortwahl:
Substantive sind schwerer zu verstehen als Verben oder Adjektive – vor allem, wenn sie gehäuft auftreten. Reduzieren Sie deshalb Substantivierungen, also Verben oder Adjektive, die zu Substantiven gemacht werden. Wenn Sie wählen können, wählen Sie – und zwar immer das aktivere Wort, also das Verb.

 

Passiv vs. aktiv:
Vermeiden Sie Passivkonstruktionen wie: „Die Bestellung wurde heute zum Versand bereitgestellt.“ Sie möchten Ihren Kunden über den Bestellstatus informieren? Dann sagen Sie lieber: „Wir haben Ihre Bestellung heute für den Versand fertig gemacht.“ Das ist verständlicher und zugleich persönlicher.

 

Halten Ihre Texte den meisten dieser Kriterien stand, haben Sie schon viel getan, um sich Ihren Kunden verständlich zu machen – sehr gut. Falls nicht, bleiben Sie dran. Ihre Kunden werden es Ihnen danken.

 

 

Haben Sie Fragen zum Thema Fachsprachen und adressatengerechte Vermittlung? Schreiben Sie mir oder rufen Sie mich an.

 

Und damit Sie nun nicht erst alles mühsam nachschlagen müssen, hier die Auflösung der der anfangs gestellten Fragen:

 

  1. Eine Personenvereinzelungsanlage ist ein Drehkreuz.
    2. Ein Erwerbsobliegenheitsverpflichteter ist jemand, der verpflichtet ist eine Arbeit aufzunehmen, um Unterhalt an z. B. seine Kinder oder den Ehepartner zahlen zu können.
    3. Das RkReÜAÜG M-V ist das vom Europa-Parlament verabschiedete Gesetz zur Übertragung der Aufgaben für die Überwachung der Rinderkennzeichnung und Rindfleischetikettierung, „kurz“ Rinderkennzeichnungs- und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz. Aha…
    4. CCD`s (Charge Couple Device) sind besonders lichtempfindliche Fotodioden, die meist in Scannern oder Digitalkameras eingesetzt werden.
    5. Enzephalon ist der medizinische Fachbegriff für das Gehirn.

Und, hätten Sie`s gewusst?