Verständlicher schreiben, selbst wenn es um sehr komplexe Themen geht – und zwar immer auf dem sprachlichen Niveau, das der jeweilige Anlass erfordert. Mit der Entwicklung des Karlsruher Verständlichkeitsmodells bietet Susanne Göpferich die erste anwendbare Lösung, die diese Anforderungen erfüllt. Zugegeben, das Modell hat es in sich. Immerhin siebzig Buchseiten nimmt seine Beschreibung in der Originalfassung von 2001 ein. Doch so viel wie drinsteckt, lässt sich mit dem Ansatz auch machen.

Der Karlsruher Modell: Der erste anwendbare Ansatz für den Transfer komplexer Fachinformationen an Laien.

Zugeständnisse und Kritik an den bestehenden Modellen

Die Mängel an den Modellen von Langer et al. und Groeben sind aus Sicht der Angewandten Linguistin Prof. Susanne Göpferich so erheblich, dass sie sich veranlasst sieht, ein neues Modell zu konstruieren. Ihr Ziel ist es, diese Unzulänglichkeiten zu beheben. Trotz erheblicher Kritikpunkte gibt sie zu bedenken, dass die vier identifizierten Dimensionen der Kollegen ohne Frage relevant sind für die Beurteilung von Textverständlichkeit. Außerdem hätten diese gegenüber den vorher häufig verwendeten Lesbarkeitsformeln den Vorteil, dass sich mit ihnen zumindest Aussagen darüber machen ließen, in welchen Bereichen ein Text verbesserungsbedürftig ist.

Sie kritisiert konkret:

  • Die 18 von der Hamburger Forschergruppe ausgearbeiteten Merkmalspaare seien „willkürlich“ ausgewählt worden. Dies führe automatisch zu der Frage, ob bei einer anderen Auswahl eventuell noch weitere Dimensionen entdeckt worden wären.
  • Weiter sei in beiden Modellen kein „theoretisches Rahmenkonzept“ berücksichtigt, was den Eindruck der Willkürlichkeit verstärke.
  • Zudem halte sie die Gewichtung einzelner Dimensionen nicht für sinnvoll. Denn die Idealausprägung einzelner Merkmale könne nur in Abhängigkeit zur Textsorte und zu den Adressaten beurteilt werden.
  • Diese Bezugsgrößen fehlten in beiden Ansätzen, was sie als den größten Mangel beider Modelle bezeichnet.

Weiter führt sie aus, dass die Methoden, die speziell die Hamburger Forschergruppe angewendet hat, aus vier Gründen in Frage gestellt werden müssten.

  • Erstens seien die Expertenratings subjektiv.
  • Zweitens seien die Texte zwar auch an Probanden getestet worden, diese hätten aber gar nicht zur jeweiligen Adressatengruppe gehört und nur für die müsse ein Text verständlich sein. Letztlich könnten nur Versuche innerhalb der Adressatengruppe aussagekräftige Ergebnisse erzielen.
  • Bei der Optimierung der Texte sei nicht darauf geachtet worden, dass der neue, optimierte Text noch immer zur selben Textsorte gehört wie der Ursprungstext. Das bedeute, damit seien völlig neue Texte und keine optimierten Versionen geschaffen worden.
  • Und viertens seien die Versuche ausschließlich in unnatürlichen Situationen getestet worden. Unter Umständen ließe sich deshalb gar kein Bezug zur Realität herstellen.

Beide Modelle blieben zudem an vielen Stellen vage. Deshalb sei eine eindeutige Zuordnung von Mängeln eines Textes zu einer der Dimensionen nicht immer möglich. Sie kritisiert weiter die Widersprüchlichkeit der Merkmale, die den Dimensionen zugeordnet sind. So ließe sich beispielsweise in der Dimension Kürze/Prägnanz (beziehungsweise semantische Kürze/Redundanz) nicht unterscheiden zwischen Verständlichkeitsproblemen, die deshalb entstehen, weil unnötige Details vermittelt werden und solchen, die entstehen, weil Inhalte „mehrfach versprachlicht werden“.

Von Hamburg nach Karlsruhe –
Ein differenzierter Ansatz für mehr Verständlichkeit

Die Lösung: Göpferich integriert in ihrem Verständlichkeitsmodell die Erkenntnisse der kognitionswissenschaftlichen und der instruktionspsychologischen Forschung und bezieht auch die linguistische Sprachwissenschaft mit ein.

Die Neuerungen im Ansatz von Göpferich:

  • Sie berücksichtig im Gegensatz zu den Vorläufermodellen einen Bezugsrahmen, zu dem die Beurteilung von Textverständlichkeit in Relation gesetzt werden kann.
  • Die Dimensionen aus den beiden vorhergehenden Modellen hat sie präzisiert und um zwei weitere ergänzt.
  • Sie zeigt an sogenannten „Kontrastpaaren“ auf, welche Merkmale jeweils dazu beitragen, die Anforderungen in den Dimensionen zu erfüllen

Das Karlsruher Verständlichkeitsmodell ist somit hilfreich bei der:

  • Textbeurteilung
  • Textoptimierung
  • Textproduktion

Das Karlsruher Modell:
Entwickelt, um die Kommunikation zu verbessern

Göpferichs Modell umfasst sechs Dimensionen und beinhaltet zudem Aspekte der kommunikativen Textfunktion und der sogenannten Textproduktions- Eckdaten. Sie beschreibt es deshalb als explizit „kommunikationsorientiert“.

Die Kommunikative Textfunktion beinhaltet Fragen nach:

  • Dem Zweck
  • Den Adressaten
  • Dem Sender

Die Textproduktions-Eckdaten berücksichtigen:

Das mentale Konventionsmodell (die Vertrautheit mit den Konventionen der jeweiligen Textsorte)

Das mentale Denotatsmodell (das mentale Modell der Gegenstände und Sachverhalte, die im Text dargestellt werden)

Das Medium, in dem der Text vermittelt wird

Juristische und redaktionelle Richtlinien

Die sechs Dimensionen des Karlsruher Verständlichkeitsmodells nach Göpferich

  • Prägnanz
  • Korrektheit
  • Motivation
  • Struktur
  • Simplizität
  • Perzipierbarkeit

Fazit:

Verständlichkeitsmerkmale sind mit dem Karlsruher Modell nicht so einfach und intuitiv zu erfassen wie mit dem Hamburger Verständlichkeitsmodel. Dafür lassen sie sich mit diesem Modell deutlich differenzierter beurteilen. Es berücksichtigt neben sechs Verständlichkeitsdimensionen die Kommunikative Textfunktion und die Textproduktions-Eckdaten und bietet damit einen Bezugsrahmen, der allen vorhergehenden Modellen fehlt. Es ist damit vor allem für die Kommunikation über sehr komplexe Produkte und Dienstleistungen zwischen Fachleuten und Laien geeignet.