Wissen Sie, was eine Personenvereinzelungsanlage ist? Ahnen Sie, zu was ein Erwerbsobliegenheitsverpflichteter eigentlich genau verpflichtet ist? Ist Ihnen die Abkürzung RkReÜAÜG M-V geläufig? Zugegeben: Die Beispiele stammen allesamt aus der Verwaltungssprache und sind ein wenig plakativ. Das Problem beschränkt sich aber keineswegs auf die Behördenkommunikation. Oder kennen Sie CCD´s (Technik) oder ein Enzephalon (Medizin)?
Die Suche nach der Botschaft ist oft mühsam
Die Wortbeispiele und Abkürzungen stehen stellvertretend für Merkmale, denen sicher alle Leser schon begegnet sind: Fach – und Fremdwörter, die schwer- bis unverständlich sind, Abkürzungen, die den Lesefluss stören und ellenlange Sätze, die sich gnadenlos jedem Entschlüsselungsversuch entziehen. Das leidige Ergebnis: Nach der Lektüre weiß man als Leser immer noch nicht, was einem eigentlich mitgeteilt werden soll.
Achtung Leserintention! Wie wichtig Verstehen für unser Handeln ist
Besonders erstaunlich: So ungeliebt derart widerspenstige Texte sind, so häufig begegnet man ihnen. Man trifft sie an auf Unternehmenswebsites, in Printbroschüren, in Pressemitteilungen, in Sach- und Fachbüchern sowieso. Dabei sind Bandwurmsätze, Abkürzungen, Fach- und Fremdwörter längst nicht die einzigen Hürden, die Leser überwinden müssen, um sich Textinhalte zu erschließen. Eine unausgereifte Struktur, Passivkonstruktionen und die Wahl der Wortarten erschweren das Verständnis oft zusätzlich. Viele Leser reagieren darauf verärgert. Zu Recht! In der Regel gibt es nämlich gute Gründe, weshalb wir uns mit einem Text überhaupt auseinandersetzen.
Etwa weil wir verpflichtet werden sollen, auf eine bestimmte Art zu handeln, zum Beispiel eine Frist einzuhalten, ein Bußgeld zu bezahlen oder eine Urkunde vorzulegen. Häufig begegnen uns solche Handlungsaufforderungen in juristischen Texten und Verwaltungstexten.
Der mit Abstand stärkste Antreiber für die Auseinandersetzung mit einem Text ist jedoch ein anderer: Wir lesen, weil wir ein Problem haben und dafür nach einer Lösung suchen. Beispiele sind Aufbau- und Bedienungsanleitungen oder die berufliche und private Informationsbeschaffung zu jedem vorstellbaren Thema.
Menschen suchen nach verständlichen Lösungen: Liefern Sie sie!
Dass wir verstehen, was wir lesen, ist immer Grundvoraussetzung dafür, dass wir angemessen handeln können. Wer sich erst mühsam durch überlange Sätze, Abkürzungsverzeichnisse und Fremdwörterlexika quälen muss, bis er sein Ziel erreicht hat, wird sicher am Ende nicht sagen: „Juhu! Ich hab`s zwar nicht verstanden, aber ich kauf es/will es/mach es trotzdem.“
Texte mit komplexen Themen in der Kundenansprache: Ja wie schreiben Sie denn?
Dass die Behördensprache so oft als sperriges Paradebeispiel für Schwerverständlichkeit herhalten muss, liegt daran, dass die Schnittmenge aus „Bürger & Erfahrung mit Behördensprache“ besonders groß ist. Unternehmen, insbesondere diejenigen, die hochkomplexe Dienstleistungen und Produkte anbieten – stehen den Verwaltungen aber in punkto Fach-Kauderwelsch in nichts nach. Branchen, in denen häufig fachsprachlich kommuniziert wird:
- Wirtschafts- und Steuerberatung
- IT
- Heim- und Handwerken & DIY
- Bau und Architektur
- Ingenieurwesen
- Medizin
- Chemie
- Maschinen- und Anlagenbau
- sowie weitere technische Branchen
Wer sagt`s dem Laien? Kommunikationsprofi vs. Fachprofi
Oft ist die schriftliche Kommunikation in hochspezialisierten Unternehmen ein heiß diskutiertes Thema. Gibt es intern keine Kommunikationsprofis, wird die Kundenansprache von den Fach-Experten zähneknirschend mit übernommen. Das, was der Kunde nachher in den Händen hält, enthält meist jede Menge technische Daten, Abkürzungen und Infos. Im schlechtesten Fall ist es außerdem reduziert auf die reinen Produktfeatures. Das ist aus Technikersicht absolut nachvollziehbar. Aber ich verrate Ihnen etwas: Niemand – und das schließt B2B-Kunden mit ein – will rätseln müssen, was er liest! Kurz: So vorteilhaft Fachsprache in der Kommunikation mit Fachkollegen ist, in der Kundenansprache ist sie fehlplatziert. Verzichten Sie auf Fachbegriffe, Abkürzungen und technische Daten:
- in Kundenanschreiben
- in Broschüren
- in Flyern
- auf der Homepage
- sowie in allen weiteren PR- und Werbetexten.
Oft ist das Wissen um die firmeninternen Sprachgepflogenheiten gut bekannt, die Veränderung gelingt aber (noch) nicht. Was Sie ganz einfach und sofort anders machen können, um Ihre Sprachkultur kommunikationsorientierter zu gestalten:
- Versuchen Sie beim Schreiben von Texten, durch die gleiche Brille zu sehen, durch die Ihr Kunde vermutlich sieht.
- Wenn Sie den Blick Ihres Kunden gar nicht kennen, fragen Sie ihn.
- Sie können ihm etwas bieten, das ihm wirklich hilft? Dann sagen Sie es! Klar und verständlich.
Was Sie am Ende von all der Mühe haben? Kunden, die Ihnen vertrauen und die Ihnen vermutlich lange treu bleiben. Weil sie Ihre Botschaften verstehen. Wenn Sie prüfen möchten, ob Ihre Texte die wichtigsten Anforderungen an eine kommunikationsorientierte Ansprache schon erfüllen: Nutzen Sie den kostenlosen TextOrdner von TEXTFORMART und die Checkliste für verständliche Texte. Und damit Sie nun nicht mühsam nachschlagen müssen, hier die Auflösung der oben gestellten Fragen:
- Eine Personenvereinzelungsanlage ist ein Drehkreuz.
- Ein Erwerbsobliegenheitsverpflichteter ist jemand, der verpflichtet ist, eine Arbeit aufzunehmen, etwa um Unterhalt an seine Kinder oder den Ehepartner zahlen zu können.
- Das RkReÜAÜG M-V ist das vom Europa-Parlament verabschiedete Gesetz zur Übertragung der Aufgaben für die Überwachung der Rinderkennzeichnung und Rindfleischetikettierung, „kurz“ Rinderkennzeichnungs- und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz. Ahhhja…
- CCD`s (Charge Couple Device) sind besonders lichtempfindliche Fotodioden, die meist in Scannern oder Digitalkameras eingesetzt werden.
- Enzephalon ist der medizinische Fachbegriff für das Gehirn.
Und, hätten Sie`s gewusst? Bild von Mario Aranda auf Pixabay